Mittwoch, 2. Oktober 2013

Inkompetenz, Desinteresse und ökonomische Zwänge

Über die Dimensionen der Afrika-Berichterstattung in deutschen Medien


In seiner Dissertation "Journalisten der Finsternis" (2009) untersucht Lutz Mükke die Afrika-Berichterstattung in deutschen Leitmedien (Print) und die Arbeitsbedingungen der Afrika-Korrespondenten und ihrer Heimatredaktionen. Dabei erforscht er die Gründe für die immer wieder einseitige, verzerrte und klischeehafte Darstellung Afrikas als quasihomogener Kontinent der Kriege, Krisen und Katastrophen. Im folgenden möchte ich die Beleuchtung der Themenwahl in der Afrika-Berichterstattung herausgreifen und hier kurz darstellen. 

Nach Lutz Mükke wird der komplexe Prozess der Berichterstattung über Afrika von vier Dimensionen beeinflusst. 

a) die standortspezifische Dimension 


Dazu zählen die spezifischen Arbeits- und Lebensbedingungen, der Grad an Pressfreiheit/Zensur sowie persönliche Kontakte, die Quellenlage und Recherchemöglichkeiten im Berichtsgebiet des Korrespondenten. Außerdem spielen die Ausprägung örtlicher Kultur (wie evt. postkoloniale Spätfolgen) und die spezielle Position Afrikas in der internationalen Politik und Wirtschaft einen Rolle. 

b) die individuelle Dimension (der Korrespondent) 


Dazu gehören die journalistischen und interkulturellen Kompetenzen des Korrespondenten, sein Fachwissen über das Berichtsgebiet, seine Sprachkenntnisse und seine persönliche Beziehung zu Afrika. Sehr entscheidend sind außerdem die Ziele seiner Arbeit (Geld, Karriere, Anerkennung), sein Rollenverständnis als Journalist und seinen Position gegenüber den Abnehmer-Redaktionen. 

c) die kulturelle Dimension 


Hierbei geht es um allgemeine politische und gesellschaftliche Diskurse über Afrika, historische Kontinuitäten (wie stereotype Überlieferungen aus der Kolonialzeit), die allgemeine zivilgesellschaftliche Situation (Grad an Toleranz) im Land des Zielpublikums sowie etablierte Erzählmuster in der Berichterstattung. Diese Faktoren beeinflussen das Vorwissen und die Sozialisation des Korrespondenten und seiner Kollegen in der Redaktion. Außerdem können Effekte wie Framing (als Weiterentwicklung des Agenda-Settings) dazu führen, dass Journalisten und Rezipienten eine (unbewusst) subjektiv geprägte Sicht auf Ereignisse oder Personen im Berichtsgebiet haben. 

d) die institutionelle Dimension (die Redaktion) 


Hier wirken sich Kompetenzen und (personelle/zeitliche) Ressourcen der Auslandsredaktion, ihre Auswahlkriterien und die Interaktion mit dem Korrespondenten auf die Berichterstattung aus. Ökonomische Zwänge (Personalmangel, Zeit- und Quotendruck). Die Arbeit der Redaktion wiederum wird durch Arbeitsroutinen des Medienbetriebs, aktuelle Entwicklungstendenzen der Medien (Boulevardisierung, Beschleunigung, massenmediale Aufbereitung) sowie durch andere Leitmedien (Nachrichtenwert, Gatekeeping) beeinflusst und gesteuert. 

Das zentrale Ergebnis der Untersuchung Mükkes ist: „Unter den Arbeitsbedingungen von Afrika-Korrespondenten kann die Darstellung von Wirklichkeit nur eine sehr entfernte Zielvorstellung sein.“ (Mükke 2009: 499). Dies liege nur zu einem geringen Teil an den individuellen Arbeitsleistungen der Korrespondenten. Auch die standortspezifischen Faktoren sieht Mükke nicht als Ursache für die erheblichen Defizite in der Berichterstattung. „Verantwortlich dafür sind primär die von Redaktionen und Medienhäusern gesetzten strukturellen und institutionellen Rahmenbedingungen, die ihrerseits in eine kulturelle Dimension eingebettet sind - in ein weitreichendes gesellschaftliches Desinteresse an Afrika.“ (Mükke 2009: 500). 

Das strukturelle Desinteresse in Deutschland spiegelt die marginalisierte Rolle Afrikas im politischen und wirtschaftlichen Machtgefüge der Welt wieder. Die Folge in den Redaktionen sind Personalabbau, kleinere Reisebudgets und weniger Sendezeit/Platz im Printbereich. Derzeit decken 13 feste und 13 freie Korrespondenten für ihre jeweiligen Auftraggeber bis zu 48 afrikanische Länder ab. Die Konsequenzen dieser übergroßen Berichtsgebiete sind der Verlust an Vielfalt und Tiefgründigkeit und mangelnde Kontinuität, um Entwicklungen und Prozesse verstehen und bewerten zu können. 

Auf der anderen Seite macht sich Unwissen und Desinteresse in den Redaktionen breit. Je geringer die Kompetenz der für die Afrika-Berichterstattung zuständigen Redakteure, umso stärker muss der Einfluss von Leitmedien, Nachrichtenagenturen und PR. Hier kommt besonders oft der Nachrichtenfaktor Konsonanz zum Tragen. Redakteure ohne eigenes Fachwissen müssen auf kognitive Erwartungen, Klischees oder den Mainstream der Medien zurückgreifen. Das Risiko der Reproduktion von Stereotypen und Fehleinschätzungen ist dabei sehr hoch. 

Des Weiteren beeinflussen ökonomische Interessen der Medienhäuser und die vermeintlichen Erwartungen des deutschen Publikums, ob ein Thema aus Afrika es überhaupt in die Nachrichten schafft. Da die Nachrichtenschwelle meist sehr hoch liegt, erreichen meist nur Meldungen von Katastrophen, Kriegen und Krisen sowie Themen mit Deutschlandbezug den nötigen Nachrichtenwert. Hier gerät Afrika-Berichterstattung in eine Dramatisierungsfalle, die durch eine allgemeine Tendenz zur Boulevardisierung nur noch verschärft wird. 

Themen, die es doch zur Veröffentlichung bringen, bedienen meist einen oder mehrere der Nachrichtenfaktoren: Ethnozentrismus, Negativismus, Personalisierung, Prominenz oder Länderstatus. Die Gatekeeper bei der Themenauswahl sind vorrangig die deutschen Leitmedien, die wiederum von Redaktionen und Korrespondenten rezipiert und aufgegriffen werden. Bei der (Themen-)Recherche üben nichtafrikanische Quellen z.B. aus Deutschland und von den Vereinten Nationen einen größeren Einfluss aus als afrikanische Quellen. Der Anteil der externen Handlungsträger (Deutsche, Hilfsorganisationen, UN, EU, etc.) in den veröffentlichten Beiträgen aus und über Afrika beträgt etwa 40% (fast jeder Zweite). 

Um die Defizite in der deutschen Afrika-Berichterstattung zu adressieren, plädiert der Autor dafür, in Zukunft neue Möglichkeiten kommunikativer und interdependenter Vernetzungen mit journalistischen Akteuren und Medien in Afrika auszuloten. 

Hier einige alternative Medienangebote aus Afrika:


• afrikanische Nachrichtenagenturen / Nachrichtenseiten
   - PanAfrican News Agency (seit 1983), http://www.panapress.com/
   - APA News, Agence de presse africaine, http://www.apanews.net/
   - AllAfrica, http://allafrica.com/ 
• internationale, unabhängige Nachrichtenagenturen
   - IPS News, http://www.ipsnews.net/ 
   - Global Voices, http://globalvoicesonline.org/ 
• Africa Positive, ein ehrenamtlich erstelltes Magazin über Afrika aus Deutschland 
     http://www.africa-positive.de/ 
• Netzwerke unabhängiger, afrikanischer Journalisten
   - Federation of African Journalists (FAJ), http://africa.ifj.org/
   - Weltreporter.net (freie deutschsprachige Journalisten im Ausland)




Montag, 1. Juli 2013

The New Afrika

Unter diesem Motto will die Journalistin Beate Wedekind Erfolgsgeschichten aus und über Afrika sammeln. Das Startup, das sie gemeinsam mit jungen Afrikanern aufzieht, will Geschichten gelungener Innovationen von jungen Akademikern, „Young Professionals“ und Unternehmern vom gesamten afrikanischen Kontinent bekannt machen.  

Das Konzept, Geschichten des Gelingens zu erzählen, ist natürlich nicht ganz neu – im deutschsprachigen Raum etwa erzählt der bekannte Soziologe Harald Welzer auf futurzwei von Unternehmen, die kreative Konzepte des nachhaltigen Wirtschaftens entwickelt haben. 

Schon Anfang 2012 hatte Beate Wedekind angekündigt, das Magazin „365 oneworld“ zu starten. Die Publikation soll zeigen, dass Äthiopien sehr viel mehr ist als hungernde Kinder, vertrocknete Landschaften und politische Konflikte. In einem Artikel vom Tagesspiegel wird betont, dass es ihr dabei um Nachhaltigkeit und den Abbau von Vorurteilen geht.

Mit dem Internetprojekt "The New Africa" will Beate Wedekind ein anderes Bild von Afrika zeichnen. Natürlich gebe es Kriege, Hungersnöte, erzählt sie. Ihre Website aber soll vor allem junge afrikanische „Professionals“ motivieren, aktiv zu werden. Zum Beispiel, indem sie Marktstudien ins Netz stellt. 

Die TV-Produzentin und ehemalige Chefredakteurin von Elle Deutschland und Bunte, Beate Wedekind, beschäftigt sich mit der Frage, wie man das Internet nutzen kann, um Innovation in Afrika zu fördern. Sie selbst hat in den siebziger Jahren als Logistikerin in der Entwicklungshilfe in Äthiopien gearbeitet und lebt immer noch teilweise in Addis Abeba. Im Sommer 2013 soll „The New Africa“ (thenewafrica.info) fertig sein. Auf ihrer facebook-Seite kann man schon ein paar Erfolgsgeschichten lesen und selbst welche anbringen.

Sonntag, 30. Juni 2013

Fünf Dinge, die du noch nicht über Afrika wusstest

Ein sehr interessanter Artikel von Tolu Ogunlesi (Journalist+Blogger aus Nigeria) über die Sicht auf Afrika:
"When Western tourists talk about Africa somehow it seems to me that what they really mean is East and Southern Africa, places like Namibia and Kenya and Botswana and parts of Uganda where you will find safaris and zebras and elephants and lakes in abundance.
[...] Nigeria is one country where foreigners come to make money, not fritter it away on guided tours and lakeside resorts. In the Congo they will be aid workers and diamond-seeking businessmen and gorilla savers; ditto the Sudan (minus the gorilla-savers and businessmen). In Liberia and Sierra Leone they will be IMF and World Bank officials. In Guinea Bissau they will mostly be cocaine merchants and US drug enforcement agents."

Dabei geht es aber nicht nur um die Lieblingsziele der Touristen, sondern auch um Rollenzuschreibungen, darum, wie die Vergangenheit die Zukunft beeinflusst und wie es der Welt ohne Afrika ergehen würde:
"If Africa didn’t exist, the world – the West, actually – would have had to invent it. If they failed, then China would have succeeded. Indeed the anthropologist and Africa specialist John Ryle wrote, in his review of Richard Dowden’s Africa: Altered States, Ordinary Miracles, in the London Guardian: “In an important sense, “Africa” is a western invention. Despite attempts by visionaries to promote unity among the states that inherited dominion from Europe's retreating empires, African politicians have never paid anything more than lip-service to the pan-African ideal.”
But we could even take that concept of invention to the extreme; beyond the invention of African "unity" to the invention of Africa itself."
Den ganzen Artikel gibt's hier. Mehr zum Autor Tolu Ongunlesi auf seinem Blog.

Montag, 24. Juni 2013

Rebell mit Jeep und traurige Kinderaugen


"Noch nachhaltiger [als die seriösen Medien, A.d.R] wirkt auf unser Afrika-Bild die Untrhaltungsindustrie, all jene Afrika-Spielfilme, in denen Afrikaner nur Statisten in weißen Ehe- und Ärztedramen sind. Die Statisten treten als zwei Prototypen auf, die wiederum erstaunlich ähnlich auch die politischen Sendungen bevölkern.
Typ A: das personifizierte Böse, der Wilddieb/Rebell/Entführer mit Jeep und Maschinenpistole. Typ B: der liebe Afrikaner, gerne auch weiblich. Die junge Krankenschwester, die großmütterliche Hausangestellte, respektvoll, loyal, fast immer christlich. Das Pendant dazu im politischen Magazin ist der gelehrige Jünger in einem Entwicklungshilfe-Projekt.
Als dritte Instanz zur Wahrung des Afrika-Bildes wären die Hilfsorganisationen zu nennen, deren Werbetafeln uns fliegen-verklebte riesige Kinderaugen aufzwingen, schwarzes Elend schaut dich an. Nur eines ist in all diesen Darstellungen selten: Ebenbürtigkeit. Eine Beziehung auf Augenhöhe. Menschen, die Respekt verdienen, nicht Mitleid."
Charlotte Wiedemann, "Vom Versuch, nicht weiß zu schreiben" (2012, Papyrossa)

Genau das haben sich auch vier junge Afrikaner gedacht und dazu einen Kurzfilm produziert:



mehr Videos zu diesem Thema gibt's auf 


Montag, 10. Juni 2013

Postkarte aus Afrika

Endlich mal eine Stimme, die sich gegen die vielen Fotos mit Kindern in Afrika wehrt, die überall kursieren:
"Dear white folks, it is illegal to take photos of or with African children!

Dear white folks, 63 years ago it was ‘noble’ to take pictures with rough-looking black African kids like you were in a zoo. It was still kinda cool and adventurous thing to take back home from your “dark continent” adventures as late as 1990s. In 2013 however, access to camera, flights and communication devices have been democratized and the world is a bit more ‘transparent’...". Mehr auf postcardfromafrica

Auch der Blog gurlgoestoafrica beschäftigt sich mit den weißen Mädels, die nach Afrika gehen, um 'Gutes zu tun' und das 'wahre' Leben kennenzulernen:
"You go to one of those fabulously elitist schools where everyone talks about privilege, classism, racism, sexism, etc. as if they don't practice it in real life. But in order to really see the world, they decide to go somewhere where they can understand what their privilege looks like. So they choose AFRICA! Yay! A whole continent dedicated to helping white people understand what it means to be poor and undeveloped.

This is for all you fabulous biddies who decided that Africa was the right place for you. There's nothing like good 'ole exotification to fill up your time while basking in the hot Saharan sun, wearing your "traditional" African clothes, eating "weird" foods and taking as many photos of black children as possible. You go, Gurl with lots of privilege! This is dedicated to you."

Montag, 3. Juni 2013

In Afrika gibt es auch Hochhäuser!?

Hier dreht sich ab sofort alles um die Afrikaberichterstattung in deutschen Medien und das Afrikabild in deutschen Köpfen.
Um dem allseits bekannten Kanon von Hunger, Dürre und Krieg etwas entgegenzusetzen, werden hier interessante Beiträge zum Thema vorgestellt und alternative Nachrichtenquellen und Medienformen vorgeschlagen.
Ziel ist die Sichtweise auf den afrikanischen Kontinent zu diversifizieren und je nach Region, Thema und Situation zu differenzieren.